Am 8. März 2021 haben wir als noch namenlose Struktur in Erfurt einen Redebeitrag für eine konsequente feministische Kultur in der ‚linken Szene‘ gehalten:
Für eine konsequente feministische Kultur in der ‚linken Szene‘
Wir wollen heute über patriarchale Strukturen und sexualisierte Gewalt in der ‚linken Szene‘ sprechen. Ein wichtiges Thema, das in der politischen Praxis und Eigenbetrachtung immer wieder hinten runter fällt und erst dann wieder in den Fokus rückt, wenn Fälle sexualisierter Gewalt in der eigenen Szene öffentlich werden. Hier hat das letzte Jahr in Thüringen einen traurigen Höhepunkt dargestellt. So wurden in Jena, Saalfeld, Gotha und auch Erfurt Fälle bekannt, in denen die Täter zumeist über Jahre hinweg physische und psychische Gewalt gegen FLINTA ausgeübt haben. Täter, die in der ‚linken Szene‘ verortet sind und dort zum Teil auch hohes Ansehen genossen haben und zum Teil noch genießen. An dieser Stelle möchten wir den Betroffenen unsere volle Solidarität und Unterstützung aussprechen.
Uns ist bewusst, dass jede Person für sich mit dem öffentlichen Outcall einen mutigen Schritt gegangen ist. Davor haben wir großen Respekt und dafür sind wir ihnen dankbar. Denn sie haben noch einmal klar gemacht: Auch in der linken Szene bleibt die politische Praxis zumeist stark hinter dem eigenen emanzipatorischen Selbstverständnis zurück. Und so wird nach Veröffentlichungen sexualisierter Gewalt immer wieder die Frage laut, wie diese so lange geschehen und in linken Kreisen ungesehen, oder aber ignoriert bleiben konnte. Und die Antworten ähneln sich und zeigen Muster auf. Das Patriarchat macht auch vor der linken Politgruppe, dem Hausprojekt, der Band etc. nicht halt. Sexismus ist hier genauso weit verbreitet wie im Mainstream. Männerbünde und Freund*innenschaften überlagern den sensiblen und kritischen Blick. Fällt der Genosse doch mal zu sehr mit sexistischem Verhalten auf, wird dies weggeschwiegen, ignoriert oder weggelacht. Problematisches Verhalten zu thematisieren, könnte ja dazu führen, selbst in einen Konflikt hineingezogen zu werden, unbequeme Gespräche zu führen und sich selbst positionieren zu müssen. Manchmal werden übergriffige Typen auch aus dem politischen Kontext ausgeschlossen. Doch die konsequente, weitere Beschäftigung bleibt häufig aus, oder muss durch Unterstützer*innengruppen (kurz U-Gruppen) oder gar die Betroffenen selbst immer wieder angestoßen werden – was mit einem doppelten, verletzenden und zehrendem Kraftakt verbunden ist. Betroffene fallen in diesen Prozessen viel zu häufig noch ‚hinten runter‘, denn sie werden – nach dem ersten Schock und der Empörung – kaum proaktiv gefragt, wie es ihnen mit der Situation eigentlich geht und wo sie sich Unterstützung brauchen. Es scheint, als wäre nicht das sexistische Verhalten das Problem, sondern die Problematisierung dessen.
Das alles kann dazu führen, dass FLINTA, die unter mackrigem Verhalten leiden, sich mitunter nicht trauen, das Verhalten des angesagten Cis-Polit-Mackers anzuprangern. Aus Angst, negativ aufzufallen, unbequem zu sein, als zu empfindlich zu gelten, abgewertet zu werden.
Die vielen Formen des Mackertums – Ausformungen von patriarchalen Strukturen
Mackertum ist vielfältig und ist eingebettet in tiefliegende patriarchale Strukturen. Mackertum findet sich in verschiedenen Varianten in linker Praxis und Subkultur wieder. Um dies zu erkennen, können wir uns zum Beispiel fragen:
Wer nimmt im Plenum wie viel Raum ein? Wer spricht wie häufig und wie laut? Welche Perspektiven bekommen einen Raum und welche nicht? Wie häufig passiert es, dass cis Männer einen Monolog halten, die Positionen von FLINTA jedoch nicht mitgedacht und nicht gehört werden? Wie viel Anerkennung/ Raum gibt es für Erfahrungswissen und Emotionalität im Vergleich zu Theoriearbeit?
Wer steht bei Demos in der ersten Reihe? Wer wird hier für welche Aufgaben angesprochen? Wer achtet darauf, dass es den Personen rundherum gut geht? Und ganz allgemein: Wer darf wobei mitmachen?
Wie oft werden FLINTA, Queers, Schwarze Menschen und People of Colour als Referent:innen eingeladen und wie oft halten weiße cis Typen Vorträge? Und wie sieht die Kommunikation im Anschluss an einen Vortrag aus? Wer diskutiert mit? Wer stellt Fragen und wer nutzt den Raum für eigene Monologe?
Wer macht die Technik bei Veranstaltungen? Wer wird als Ansprechpartner*in wahr- und ernst genommen? Wer ist in Awareness-Strukturen aktiv? Wer trägt und unterstützt diese und wer hält sie für überflüssig?
Wer steht bei Konzerten auf der Bühne? Und wer pogt mittig vor der Bühne? Wer kann sich frei bewegen, sein T-Shirt ausziehen, wenn ihm warm ist? Und wer muss darauf achten, dann nicht sexualisiert und belästigt zu werden? Wer macht Typen darauf aufmerksam, dass sie ihre T-Shirts bitte wieder anziehen sollen und wer belächelt das?
Wer übernimmt welche Rollen beim Schutz machen? Werden weibliche Türsteher:innen mitgedacht und in die Arbeit mit einbezogen?
Werden bei der Selbstverteidigung oder beim Kampfsport andere als cis männliche Erfahrungshintergründe beachtet? Was heißt es, als nicht cis männliche Person in engem Körperkontakt Sport zu machen? Warum muss auch beim Sport einem männlichen Ideal von Körper und Können nachgeeifert werden?
Wer entscheidet, welcher Kleidungsstil und welcher Stil zu sprechen ‚cool‘ ist? Wer entscheidet, dass Emotionalität in der politischen Praxis nix zu suchen hat? Wer trägt dazu bei, dass private Beziehungen entpolitisiert werden?
Wer hierarchisiert die Theorien, mit denen sich politische Gruppen beschäftigen? Und wer denkt, es immer nochmal besser zu wissen und zum Beispiel sein vermeintliches Wissen zum Patriarchat kundtun zu müssen?
Und ist unseren männlichen „Nazihunter Genossen“ eigentlich klar, dass wir bei einer körperlichen Auseinandersetzung mit Faschos neben körperlicher auch sexuelle Gewalterfahrungen riskieren? Und denken sie so etwas in irgendeiner Form mit?
Die Antworten auf diese Fragen sind frustrierend und sie zeigen einige Probleme der linken Szene auf.
Und auch jetzt müssen wir uns wieder fragen:
Wer bearbeitet diese Themen und gibt ihnen Öffentlichkeit? Wer arbeitet die tief eingeschriebenen Geschlechterverhältnisse heraus, macht sie sichtbar, prangert sie an und bleibt an den Themen dran? Wer legt den Finger in die Wunde und wendet darauf viele Ressourcen auf?
Es sind FLINTA, die immer noch viel zu selbstverständlich Care-Arbeit leisten, die emotional sehr belastend und die gleichzeitig unabdingbar ist, um die Strukturen am Laufen zu halten. Denn es braucht es eben jene, die Raum geben, für das Wohlfühlklima sorgen, gern von anderen lernen und sich lieber zurücknehmen, als sich zu beschweren. Doch seit FLINTA begonnen haben, sich gegen den ihnen zugewiesenen Platz (in der zweiten Reihe) zu wehren, gibt es Stunk. FLINTA, die den Mund aufmachen und cis Typen auf problematisches und beschissenes Verhalten hinweisen, werden schnell als Nestbeschmutzer:innen und als unsolidarisch diffamiert. Diese Reaktion beschränkt sich leider nicht auf cis Typen. Auch andere FLINTA können ein solches System mittragen. Vielleicht, weil diese Strukturen sich auch in uns zu tief eingeschrieben haben. Vielleicht weil wir gelernt haben, dass wir Härte brauchen, um anerkannt zu werden. Vielleicht auch auf Grund fehlender Sensibilisierung, oder der Angst des Statusverlusts in der Gruppe oder Szene.
Wenn FLINTA sexistische Strukturen oder sexistisches Verhalten auch in der eigenen Blase anpragern, kann dies nicht als einzelner, losgelöster Akt begriffen werden. Ebenso wenig wie die Auseinandersetzung mit solchen Outcalls. Diese wird häufig mit dem Aufbrechen und der Bearbeitung von eigenen, schmerzhaften Erfahrungen begleitet. Es geht dabei nicht um einen reinen theoretischen Diskurs, sondern um Selbstermächtigung und darum, uns Luft zum Atmen zu verschaffen.
Für eine wirkliche Veränderung der Verhältnisse, müssen wir das Problem bei der Wurzel packen und so radikal und konsequent bearbeiten, wie wir uns mitunter anderen politischen Feldern widmen. Uns ist bewusst, dass noch viel zu tun ist, und wir hier nur Denkanstöße liefern können. Dennoch haben wir einige Forderungen erarbeitet:
Hin zu einer queer_feministischen und antisexistischen Szene
Eine Möglichkeit, um die Verhältnisse konsequent zu ändern, ist eine andere Kommunikationskultur zu schaffen. Wir fordern, dass sich Menschen in der linken Szene mit ihren eigenen Bedürfnissen und Wünschen auseinandersetzen und diese klar kommunizieren können. Wir fordern, angehört zu werden und dass uns zugehört wird – bevor eine Gegenrede vorbereitet wird. Wir fordern, dass Kritik von FLINTA erst mal hin- und angenommen wird – und mindestens darüber nachgedacht wird, ohne dies gleich argumentativ zu zerfetzen.
Wir fordern, dass gesellschaftliche Machtverhältnisse in den eigenen Strukturen mitgedacht werden. Das heißt, unterschiedliche Erfahrungshintergründe und gesellschaftliche Positionierung müssen in unserem Alltag mit einbezogen und ernst genommen werden. Erfahrungen sollen nicht abgesprochen oder abgetan werden, sondern wahr- und ernst genommen. Das bedeutet auch: Care-Arbeit braucht mehr Raum in politischen Zusammenhängen.
Es sollen Konsequenzen folgen beim eigenen Verhalten: Nicht nur reflektieren, sondern auch das eigene Verhalten hinterfragen und verändern. Es ist wichtig, dass ein Perspektivwechsel vorgenommen wird. Wir wollen, dass sich Menschen in andere hineinversetzen und empathisch sind. Wir fordern eine kollektive Verantwortungsübernahme. So, dass nicht mehr Betroffene und deren Unterstützer:innen Aufarbeitung und die Veränderung in den Strukturen vorantreiben müssen, sondern dies ganz selbstverständlich und mit Kraft, Wut und Konsequenz aus den eigenen
Strukturen erfolgt.
Wir fordern eine feministische Solidarität, die nicht bloß bei Lippenbekenntnissen bleibt, sondern in der sich Menschen tatkräftig unterstützen und füreinander und vor allem für betroffene Menschen einstehen und füreinander da sind.
Ein Schritt hin zu einer feministischen Solidarität stellt unsere Gruppe dar, mit der wir die Vernetzung von FLINTA stärken und Support aus Erfurt anbieten möchten.
Ein anderer Schritt ist der Support von Betroffenen zum Beispiel in Form von Unterstützungs-Gruppen-Arbeit. Hier hat das letzte Jahr gezeigt, wie stark solche U-Gruppen die Aufklärung vorantreiben, Konsequenzen ableiten und fordern. Wie kraftgebend und empowernd sie damit sind und wie stark sie auch in die Szene hinein wirken.
Auch das Hinterfragen und Verändern des eigenen mackerhaften und unsolidarischen Verhaltens kann ein weiterer Schritt sein zu einer emanzipatorischeren Szene sein.
Wir fordern, dass feministische Anstriche auch mit feministischen Inhalten untermauert werden, und diese konsequent auch so gelebt werden!